G-BA hält trotz fehlender Evidenz an Mindestmengen im Bereich der Transplantationsmedizin fest

: Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) und der Bundesverband Niere e.V. (BN e.V.) sehen in der Einführung der Mindestmengenregelungen in der Transplantationsmedizin einen Schritt in Richtung ‚Zwangsökonomisierung‘. Die nötige wissenschaftliche Evidenz, also der Nachweis, dass die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt, fehlt nach wie vor. Die Fachärztinnen und Fachärzte sowie der Patientenverband befürchen nun eine schlechtere Patientenversorgung. Alles weise darauf hin, dass eine politische Agenda durchgesetzt werden soll.

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Nach einer Änderung des Sozialgesetzbuches (SGB) V im Jahre 2002 traten erstmals 2004 Mindestmengenregelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Kraft, auch im Bereich der Transplantationsmedizin. 2006 wurde beschlossen, dass Transplantationszentren jährlich mindestens 25 Nieren- bzw. 20 Lebertransplantationen durchführen müssen, ansonsten vor dem dauerhaften Aus stehen. Diese Regelung hatte zu massiven Protesten in der Ärzte- und Patientenschaft geführt, da es keine wissenschaftliche Evidenz für diese Schwellenwerte gibt, die Einführung der Regel aber die Transplantationslandschaft stark verändern und die Transplantationsnachsorge erschweren wird. Letztlich werden ca. ein Drittel aller regionalen deutschen Transplantationszentren schließen und die Patientinnen und Patienten müssen zur Nachsorge weitere Wege auf sich nehmen.

2019 hat die DGfN in einer Pressemeldung [1] öffentlich Stellung bezogen und darauf hingewiesen, dass durch die Regelung Fehlanreize gesetzt und Quantität, nicht Qualität belohnt wird. Hinzu komme, dass wichtige grundlegende Kriterien für die Einführung überhaupt nicht erfüllt seien. Damit Mindestmengen eingeführt werden können, müsse es sich zum einen um planbare Eingriffe handeln, was bei Transplantationen nicht der Fall ist, zum anderen müsse nachgewiesen sein, dass die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt – und dieser Nachweis fehlt. Auch die Deutsche Transplantationsgesellschaft hat vor zwei Jahren in einer schriftlichen Stellungnahme [2] Kritik an der fehlenden Evidenz geäußert: „Nach gegenwärtigem Stand der medizinischen Wissenschaft im Jahr 2018 existiert keinerlei Beleg für eine potentielle Qualitätsverbesserung durch die für Nieren- und Lebertransplantation festgelegten Mindestmengen.“ Der aktuell veröffentlichte IQWiG-Abschlussbericht [3] schließt diese Lücken nach wie vor nicht, kommt sogar selbst zu dem Fazit „Die Aussagekraft der Ergebnisse aller eingeschlossenen Studien wurde mit niedrig bewertet“ – um trotz dieser Einsicht weiterhin an den nicht evidenzbasierten Mindestmengen festzuhalten.

Wie DGIM-Vizepräsident Professor Jürgen Floege, Aachen, ausführt, ist die Datenbasis  mangelhaft und rechtfertigt die Einführung von Mindestmengen im Bereich der Transplantation nicht: „Drei von fünf Studien kommen aus den USA mit nicht vergleichbaren Rahmenbedingungen. Die Zahl der Krankenhaustage nach einer Transplantation ist viel geringer und der häufigste Grund für einen Transplantatverlust ist dort, dass sich viele Patienten ihre immunsuppressiven Medikamente nicht leisten können und sie absetzen, eine Situation, die wir glücklicherweise nicht haben. Und die einzige deutsche Studie, die in die Auswertung eingegangen ist, kommt zu einem höchst fragwürdigen Ergebnis.“ Demnach sei die Sterblichkeit in Krankenhäusern, die nicht die Mindestmengen erfüllen, nach Nierentransplantationen deutlich höher (57%), aber nicht nach Lebertransplantation. „Allein das ist ein starker Hinweis, dass hier mit viel zu kleinen Daten gearbeitet wurde, die mehr oder weniger zufällige Befunde liefern. Warum sollte die technisch und medizinisch anspruchsvollere Lebertransplantation im Gegensatz zur Nierentransplantation nicht von Mindestmengen abhängig sein?“, fragt der Aachener Experte. „Das ist wissenschaftlich einfach nicht plausibel“.

Umgekehrt seien neue Daten nicht in die Auswertung eingegangen. In einer noch unpublizierten deutschen Registerauswertung [4] fand sich kein Zusammenhang zwischen Zentrumsvolumen und Patienten- oder Transplantatüberleben nach Nierentransplantation, im Gegenteil, letzteres war in kleineren Zentren sogar etwas besser. „Wir plädieren dafür, zunächst erst einmal das 2016 vom Bundestag beschlossene Transplantationsregister umzusetzen und Daten zu erheben, bevor politische Entscheidungen ohne valide Basis getroffen werden“, erklärt Professor Christian Hugo, Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG).

„Was uns besonders irritiert, ist, dass keine offene Fachdiskussion geführt wird. Unsere Stellungnahmen und Pressemeldungen verhallen ohne Resonanz, weder G-BA oder IQWiG treten in Kommunikation mit den Fachgesellschaften. Das Festhalten an Daten mit geringer Aussagekraft, wie das IQWiG selbst konstatiert, und das Vermeiden jeglicher wissenschaftlicher Debatten lässt auf eine politische Agenda schließen, die durchgesetzt werden soll: Die Schließung von Transplantationszentren ebenso wie die von Krankenhäusern ganz allgemein. Wie unzeitgemäß und falsch diese Agenda ist, hat uns gerade erst die SARS-CoV-2-Pandemie vor Augen geführt. Letztlich hat uns die im europäischen Verhältnis hohe Zahl an Krankenhäusern dramatische Zustände wie in Italien oder Frankreich erspart“, erklärt Professor Jan Christoph Galle, Lüdenscheid, Präsident der DGfN. „Wir möchten uns daher klar gegen eine ‚Zwangsökonomisierung‘ der Transplantationsmedizin positionieren, die jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt und unserer Ansicht nach die Versorgung von nierentransplantierten Patientinnen und Patienten verschlechtern wird.“ Peter Gilmer, Vorsitzender des Selbsthilfenetzwerks Bundesverband Niere e.V. mit ca. 170 Mitgliedsvereinen,in denen 18.000 Dialysepatienten und Nierentransplantierte Deutschlands organisiert sind, mahnt: „Das Wohl der Patienten darf nicht zum Spielball von Politik und Kassen werden!“

Literatur
[1] https://www.dgfn.eu/pressemeldung/mindestmengenregelung-ist-bei-nierentransplantation-widersinnig.html
[2] Schriftliche Stellungnahme der Deutschen Transplantationsgesellschaft zum Vorbericht „Planungsrelevante Qualitätsindikatoren: Prüfung der Ableitung aus Richtlinien zur Strukturqualität und Mindestmengenregelungen“. Gesendet an das IQTIG im März 2018.
[3] IQWIG-Bericht: Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Qualität des Behandlungsergebnisses bei Nierentransplantation (inklusive Lebendspende). https://www.iqwig.de/de/projekteergebnisse/projekte/versorgung/v19-02-zusammenhang-zwischen-leistungsmenge-und-qualitaet-desbehandlungsergebnisses-bei-nierentransplantationen-rapid-report.12407.html
[4] Krämer BK, Breitkreuz T, Krüger B et al. Predictors of patient and graft survival in renal transplantation in Germany 2009 -2014: Focus on transplant center volume. Manuskript in Vorbereitung).

Die Daten wurden präsentiert:
Kongress für Nephrologie, 10.Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, Berlin, 30. September 2018, Mindestmengen in der TX-Medizin vs heimatnahe Versorgung: ÜBERSICHTSVORTRAG 136. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, München, 26.-29. März 2019, Qualität in der Transplantationschirurgie ist gekoppelt an Mindestmengen – Contra: ÜBERSICHTSVORTRAG  

Pressekontakt
Pressestelle der DGfN
Dr. Bettina Albers
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